Müssen Leiharbeitskräfte zuerst gehen?

Österreich

Gemäß § 2 Abs 3 AÜG darf durch den Einsatz überlassener Arbeitskräfte für die Arbeitnehmer im Beschäftigerbetrieb keine Beeinträchtigung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und keine Gefährdung der Arbeitsplätze bewirkt werden. Die betriebliche Praxis geht daher regelmäßig davon aus, dass Kündigungen von Stammarbeitnehmer generell unzulässig sind, solange überlassene Arbeitskräfte zum Einsatz kommen. Der OGH hat diese pauschale Sichtweise nunmehr relativiert (OGH vom 28.5.2013, 8 Ob A 31/13m).

Der OGH vertritt angesichts des Gesetzteswortlauts wenig überraschend, dass Kündigungen wegen Verstoßes gegen § 2 Abs 3 AÜG gemäß § 879 ABGB nichtig sind, wenn gekündigte Stammitarbeiter durch überlassene Arbeitskräfte ersetzt werden. Dies auch unabhängig von der voraussichtlichen Dauer des Einsatzes der überlassenen Arbeitskräfte, weil jegliche Austauschkündigungen gegen das ausdrückliche gesetzliche Verbot verstoßen (so auch Schindler in ZellKomm2 § 2 AÜG Rz 16).

In der Literatur wir aber auch darüber hinaus wenig differenzierend ausgeführt, dass Kündigungen „in der Regel“ nichtig sind, wenn Arbeitnehmer im Beschäftigerbetrieb gekündigt würden, obwohl vergleichbare Tätigkeiten im Betrieb (weiterhin) durch überlassene Arbeitskräfte ausgeführt würden (Sacherer, in Sacherer/Schwarz, Arbeitskräfteüberlassungsgesetz2 107; ebenso Tomandl, Arbeitskräfteüberlassung 42) Die Stammarbeiter müssen gegebenenfalls nach zumutbarer Umschulung die Tätigkeiten der überlassenen Arbeitskräfte übernehmen (Schindler, aaO).

Der OGH hatte nun folgender Sachverhalt zu entscheiden: Es arbeiteten mehrere Arbeiter (Stammarbeitnehmer und überlassene Arbeitskräfte) in einer Schicht, wobei die Aufgaben arbeitsteilig verteilt waren. Bis auf einen Arbeiter beherrschten sämtliche Beschäftigten jede der drei Tätigkeiten (Mischer, Prüfer und Presser) und wurden auch für alle drei Tätigkeiten eingesetzt. Der Arbeitgeber musste nun aufgrund wirtschaftlicher Gründe Personal reduzieren und wollte jedoch jenes Personal halten, das eine hohe fachliche Qualifikation aufweist. Dabei sollte Leih- und Stammpersonal gleich behandelt werden. Der Kläger – ein Stammarbeitnehmer – wurde ausgewählt, weil dieser als einziger nur für die Aufgabe als Mischer angelernt und einsetzbar war. Nach der Kündigung des Klägers wurde kein neuer Leiharbeiter aufgenommen. Dieser wollte sich die Kündigung nicht gefallen lassen und begehrte gerichtlich die Feststellung des aufrechten Bestands seines Arbeitsverhältnisses, da sein Arbeitsplatz deswegen nicht weggefallen sei, weil die nach wie vor beschäftigten Leiharbeiter dieselbe Tätigkeit ausüben würden.

Der OGH sagte, dass jedenfalls keine Austauschkündigung vorgelegen wäre, da nach der Kündigung des Klägers kein neuer Leiharbeiter aufgenommen wurde. Der Kläger könne sich aufgrund seines eingeschränkten Einsatzbereiches auch nicht auf die Ausübung einer vergleichbaren Tätigkeit berufen, maW waren die Leiharbeitnehmer besser qualifiziert. Entscheidend war aber für den OGH, dass der Kündigung Rationalisierungsmaßnahmen im Betrieb zugrunde lagen und der Arbeitgeber einen sachlichen Grund für die Auswahl des Stammarbeitnehmers (anstatt einer überlassenen Arbeitskraft) zur Kündigung hatte. Der OGH fasst die Rechtslage wie folgt zusammen:

Eine Austauschkündigung, bei der ein Stammarbeitnehmer gekündigt und auf seinem Arbeitsplatz durch einen Leiharbeitnehmer ersetzt wird, ist nichtig. Liegen der Kündigung eines Stammarbeitnehmers bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers aber sachliche und für den Beschäftigerbetrieb wichtige Gründe, wie etwa Rationalisierungsmaßnahmen, zugrunde, so ist die Kündigung des Stammarbeitnehmers im Allgemeinen nicht mit Nichtigkeit bedroht.

Somit lässt sich für die Zukunft festhalten, dass, im Fall von Rationalisierungsmaßnahmen auch Stammarbeitnehmer gekündigt werden dürfen, sofern keine neuen Leiharbeitnehmer eingestellt werden und die Auswahl des Stammmitarbeiters anstatt eines Leiharbeitnehmers aus sachlichen Gründen erfolgt.