Ausländische Unternehmen müssen eigenen Beschäftigten den Mindestlohn zahlen und sich Haftungsfragen bei internationalen Werk- und Serviceverträgen stellen.
Ausländische Unternehmen sind vom deutschen Mindestlohn stärker betroffen als gemeinhin angenommen. Schon die Grundaussage des Mindestlohngesetzes (kurz: MiLoG) in § 20 ist eindeutig: Im Inland beschäftigten Arbeitnehmern ist der Mindestlohn zu zahlen, egal wo der Sitz des Arbeitgebers liegt.
Mindestlohn auf dem Weg von Polen nach Frankreich
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nahm § 20 MiLoG genau und wollte sogar beim reinen Lkw-Transitverkehr den Mindestlohn für die Zeit auf deutschen Straßen oder Rastplätzen einführen. Diese Auffassung schlug hohe mediale und politische Wellen. Erst nachdem sich die EU-Kommission eingeschaltet hatte, wurde „vorübergehend“ von der Durchsetzung im reinen Transit abgesehen. Die Suspendierung dauert an: Die Kommission hat unlängst in dieser Sache ein Verfahren gegen Deutschland wegen der Verletzung europäischen Rechts eingeleitet.
Umfassende Haftung für Subunternehmer
Für die meisten Unternehmen sehr viel relevanter ist die bestehende Haftung für Subunternehmer (§ 13 MiLoG i. V. m. § 14 Arbeitnehmerentsendegesetz, kurz: AEntG). Ein Unternehmen, das ein anderes Unternehmen mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, haftet verschuldensunabhängig auf Zahlung des Mindestlohns gegenüber dessen (oder von weiteren Nachunternehmern eingesetzten) Arbeitnehmern, soweit diese den Mindestlohn nicht rechtzeitig oder vollständig erhalten. Zudem droht beim Einsatz von Subunternehmern, die keinen Mindestlohn zahlen, ein Bußgeld von bis zu EUR 500.000.
Macht die Haftung für Subunternehmer an der Grenze halt?
Internationale Konzerne bilden häufig zentrale Kompetenzzentren für den europäischen Markt, indem sie beispielsweise „Logistics“ in den Niederlanden bündeln. Muss eine solche niederländische Zwischengesellschaft nun für den Mindestlohn der Arbeitnehmer eines deutschen Subunternehmers haften?
Noch hat sich hiermit – soweit ersichtlich – kein Arbeitsgericht befasst; auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur steht die Problematik im Schatten anderer Mindestlohnthemen. Während die allgemeine Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns ausdrücklich ausländische Arbeitgeber betrifft, fehlt ein entsprechender Verweis im Gesetz bei der Subunternehmerhaftung. Dies ist allerdings kein Grund zur Entwarnung. Spätestens der Lkw-Transit hat verdeutlicht, wie weit zumindest das BMAS die Mindestlohnnormen versteht. Arbeitnehmer, die bei ihrem Arbeitgeber das Nachsehen haben, sind ohnehin froh um jeden zusätzlichen potenziellen Schuldner.
Im Wesentlichen handelt es sich um eine Frage des internationalen Privatrechts. Untersteht der Vertrag zwischen dem ausländischen Auftraggeber und seinem Subunternehmer deutschem Recht, so haftet der Erstgenannte. Komplizierter wird es, wenn er der Rechtsordnung eines anderen EU-Mitgliedsstaats unterfällt (für Dänemark gelten Besonderheiten). Um auch in diesem Fall Geltung zu erlangen, müsste § 13 MiLoG i. V. m. § 14 AEntG „Eingriffsnormen“ im Sinne der einschlägigen EU-Verordnung sein (Rom-I; VO [EG] Nr. 593/2008, Art. 9):
Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie […] auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.
Subunternehmerhaftung als Eingriffsnorm
Nach der Rechtsprechung sind nur wenige arbeitsrechtliche Vorschriften Eingriffsnormen. Aufgrund der eindeutigen Einbeziehung ausländischer Arbeitgeber dürfte die allgemeine Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns an eigene Arbeitnehmer (§ 20 MiLoG, s. o.) dazuzählen. Gegen die Einordnung auch der Subunternehmerhaftung als Eingriffsnorm kann man zwar u. a. einwenden, dass das Gesetz – anders als beim allgemeinen Mindestlohnanspruch – ausländische Unternehmen nicht direkt nennt und dass die Haftung eher eine zivilrechtliche Thematik ist, die dem Arbeitnehmer „nur“ eine zusätzliche Sicherheit vermittelt; dies wird auch von der Überschrift des § 14 AEntG unterstrichen. Zudem haftet der Auftraggeber nach überwiegender Auffassung ohnehin nur für den geschuldeten Nettolohn.
Allerdings sprechen erhebliche Argumente für die Charakterisierung als Eingriffsnorm. So
- wäre die Umgehung der ansonsten sehr strengen Haftung (kein Verschulden erforderlich) durch die Einschaltung einer ausländischen (Zwischen-)Gesellschaft relativ einfach,
- ist die zumindest fahrlässige Beauftragung eines anderen Unternehmens, das entweder selbst den Mindestlohn nicht, nicht vollständig oder zu spät zahlt, oder einen weiteren Nachunternehmer einsetzt, bei dem dies der Fall ist, eine Ordnungswidrigkeit (§ 21 Abs. 2 MiLoG), was den Geltungsanspruch verdeutlicht, und
- soll die Haftung nach der Intention des Gesetzgebers die faktische Wirksamkeit des Mindestlohns verstärken, indem sie den Auftraggeber zu einer genauen Prüfung veranlasst, ob die von ihm beauftragten Unternehmen den Mindestlohn zahlen.
Bis zur gerichtlichen Klärung ein Thema für die Compliance-Abteilung
Aufgrund dieser Argumente spricht zum jetzigen Zeitpunkt viel dafür, dass die Subunternehmerhaftung auch ausländische Unternehmen trifft. Diese müssen also damit rechnen, vor deutschen Arbeitsgerichten auf den Mindestlohn verklagt zu werden.
Bis zu einer abschließenden Klärung durch die Gerichte sollte dieses Compliance-Thema daher auch bei internationalen Werk- und Serviceverträgen beachtet werden. Allgemein gilt hier: Aus der zivilrechtlichen Haftung gibt es zwar keinen Ausweg. Es können aber Vorkehrungen getroffen werden, um Bußgelder zu vermeiden und die zivilrechtliche Haftungssituation zu verbessern.
Dieses Thema behandelt auch ein Lexology-Beitrag in englischer Sprache von Bittmann/Mujan vom 28. Mai 2015.
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