Tiefe Kratzer und Beulen in der russischen Automobilindustrie

Russland

Noch vor zwei Jahren galt Russland als vielversprechender und verheißungsvoller Absatzmarkt für Autos. Nicht wenige hatten die begründete Hoffnung, dass Russland im Jahr 2020 mit prognostizierten 5 Mio. Einheiten Deutschland als Marktführer in Europa ablösen könne. Heute glaubt niemand mehr an den russischen Autoboom. Die Russland-Ukraine-Krise mit ihrem unendlichen menschlichen Leid und ihren teilweise wirtschaftlich desaströsen Folgen hat tiefe Kratzer und Beulen (auch) in der russischen Automobilindustrie hinterlassen. So sank der Autoabsatz 2014 um fast 30 % im Vergleich zum Vorjahr. Die Erstzulassungen beliefen sich nur noch auf ca. 2 Mio. Einheiten. Die Prognose für 2015 sieht noch düsterer aus.

Während im letzten Jahr noch vielerorts offiziell verkündet wurde, dass man an den russischen Markt glaube und an seinen Investments festhalte (gleichwohl sie überprüfen und eventuell zeitlich verschieben müsse), sehen die diesjährigen Meldungen nach über einem Jahr Krieg, weitreichenden Sanktionen, Währungsabwertung und Ölpreisverfall anders aus. Kurzarbeit, Bandstilllegungen und Marktrückzug zählen zu den aktuellen Maßnahmen, mit denen deutsche und internationale Hersteller auf den signifikanten Rückgang der Absatzzahlen reagieren. Besonders hart trifft es mittelständische Zulieferer, die ihren Kunden nach Russland gefolgt sind und dort mit viel Mühe und Aufwand eine lokale Fertigung aufgebaut haben.

Wenn das Geschäft und die Produktion der Automobilhersteller in Russland wegbricht, werden auch die „mitgereisten“ Zulieferer Kurzarbeit anordnen, Schichtarbeit streichen und dem russischen Markt vielleicht sogar gänzlich den Rücken kehren.

Dieser Rückzug muss begleitet werden – auch in rechtlicher Hinsicht. Denn „Schalter aus, alles erledigt“ funktioniert auch in Russland nicht. Langfristige Verträge mit ihren Verpflichtungen, wie Miet-, Pacht-, Leasing- und Kreditverträge, müssen beendet werden. Ohne Weiteres kommt man da nicht raus. Oft ist ein Ausstieg nur gegen Abfindungen und Abstandszahlungen möglich. Gleiches gilt für Dienst- und Arbeitsverträge. Ähnlich wie das deutsche gilt auch das russische Arbeitsrecht als arbeitnehmerfreundlich. Sollten staatliche Subventionen gewährt worden und deren Bindefristen noch nicht abgelaufen sein, drohen oft Rückzahlungen. Auch dürfte es schwierig werden, erworbene Produktionsflächen zu veräußern. In der Krise nimmt der Immobilienmarkt diese zu verkaufenden Gewerbeimmobilien kaum auf. Der Rückzug wird zusätzlich komplexer, wenn die russische Landesgesellschaft aufgrund oder im Zuge des Rückzugs insolvent wird. Herausfordernd ist auch die Situation, wenn ein verbleibender Kunde weiterhin beliefert werden will und muss. Über einen Rückzug seines lokalen Zulieferers dürfte er nicht erfreut sein, insbesondere wenn der Kunde seinerseits Lokalisierungsvorgaben zu erfüllen hat, um staatliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu können und behalten zu dürfen.

Kurzum: Der Rückzug aus dem russischen Markt stellt auch in rechtlicher Hinsicht viele Herausforderungen, die bei der strategischen Entscheidungsfindung im Hinblick auf einen Marktrückzug und bei seiner konkreten Umsetzung zu berücksichtigen sind.