Die ohnehin große Zahl erfolgreicher Umweltverbandsklagen könnte erneut zunehmen: Mit Urteil vom 15.10.2015 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein wesentliches Prinzip des deutschen Umweltrechtsschutzes – den Einwendungsausschluss (Präklusion) – gekippt. Um-weltverbände und sonstige Dritte können Klagen gegen umweltrechtliche Genehmigungen und Planfeststellungsbeschlüsse nun auch auf solche Mängel stützen, die sie im Genehmi-gungs- und Planfeststellungsverfahren nicht oder nicht rechtzeitig gerügt haben.
Bisher waren Einwendungen gegen umweltrelevante Vorhaben im weiteren Verwaltungs- und Gerichtsverfahren unerheblich – eine Klage insoweit unbegründet –, wenn die Themen nicht rechtzeitig innerhalb der Einwendungsfrist gerügt wurden. Grundlage dafür waren die Präklu-sionsvorschriften (für Umweltverbandsklagen § 2 Abs. 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, für Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse § 73 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz). Die Präklusionsvorschriften sollten Betroffene und Umweltverbände dazu anhalten, auf erkennba-re Mängel frühzeitig hinzuweisen, um das Genehmigungsverfahren effektiv zu gestalten und eine inhaltlich richtige Entscheidung zu bewirken. Zugleich führte der Einwendungsausschluss für Vorhabenträger und Investoren zu gewisser Rechtssicherheit. Sie brauchten mit einer späteren Anfechtung der Genehmigung wegen nicht bereits im Verwaltungsverfahren eingewandter Mängel grundsätzlich nicht mehr zu rechnen.
Schwächung der Kontroll- und Rechtsschutzinstrumente
Der EuGH hat jedoch in seinem Urteil (15.10.2015, Rs. C-137/14) die Beschränkung von Klagebefugnis und gerichtlicher Kontrolle für unionsrechtswidrig erklärt. Die hier maßgebli-chen umweltrechtlichen Richtlinien verlangten eine umfassende materielle wie verfahrens-rechtliche Kontrolle. Diese würde durch die deutschen Präklusionsvorschriften unzulässig eingeschränkt.
Diese Entscheidung birgt Sprengstoff für das deutsche Rechtsschutzsystem im Umweltrecht. Denn künftig könnte ein Umweltverband oder ein sonstiger Dritter etwaige Belange auch erst nach Genehmigungserteilung im gerichtlichen Verfahren vorbringen, ohne sich im Verwal-tungsverfahren beteiligt zu haben. Hierdurch wird die Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung als Kontroll- und als Rechtsschutzinstrument geschwächt. Die EuGH-Entscheidung dürfte daher die Anzahl von Klagen gegen umweltrelevante Vorhaben erhöhen. Für Vorhabenträger dürfte sie zu größerer Rechtsunsicherheit, voraussichtlich auch zu Bauverzögerungen und höheren Kosten führen.
Weitreichende Auswirkungen
Auch wenn der EuGH weitere Vorschriften nicht ausdrücklich benannt hat, dürfte die Ent-scheidung das Ende der Präklusion für die meisten umweltrechtlichen Verfahren bedeuten. Präklusionsvorschriften sind im Umweltrecht weit verbreitet, etwa beim immissionsschutz-rechtlichen Genehmigungsverfahren. Der EuGH mag konsequent das Ziel der Richtlinien verfolgen, Umweltschutz durch Eröffnung von Klagemöglichkeiten durchzusetzen, berück-sichtigt leider jedoch nicht, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung im deutschen Rechtsschutzsys-tem nicht nur der Überwachung umweltrechtlicher Vorschriften dient, sondern auch Grund-rechtsschutz durch Verfahren vermittelt und zugleich die Präklusionsvorschriften einen Aus-gleich zu dem Bedürfnis des Vorhabenträgers nach Rechtssicherheit schaffen.
Vorhabenträger und Investoren müssen daher nun auch dann mit Angriffen Dritter nach Ge-nehmigungserteilung rechnen, wenn es hierfür während des Genehmigungsverfahrens keinerlei Anzeichen gab.
Social-Media-Cookies sammeln Informationen darüber, wie Sie Inhalte von unserer Website über die sozialen Medien teilen, oder liefern Analysedaten zu Ihrem Nutzungsverhalten, wenn Sie zwischen Social-Media-Plattformen oder unseren Social-Media-Kampagnen und unseren eigenen Websites navigieren. Wir setzen diese Cookies ein, um die Mischung der Kommunikationswege zu optimieren, über die wir Ihnen unsere Inhalte zukommen lassen. Genauere Informationen zu den eingesetzten Tools finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.