Kartellrecht in Zeiten der Corona-Krise

Österreich
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Die Corona-Krise macht auch vor dem Kartellrecht nicht halt. Das European Competition Network („ECN“), in dem die nationalen Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission zusammenarbeiten, veröffentlichte am 23.03.2020 eine gemeinsamen Erklärung. Darin anerkennt das ECN, dass „durch die außergewöhnliche Situation eine Zusammenarbeit von Unternehmen notwendig sein kann, um die Versorgung und gerechte Verteilung knapper Produkte an alle Abnehmer zu gewährleisten“. Die Europäische Kommission hat deshalb am 08.04.2020 eine Mitteilung zu den kartellrechtlichen Rahmenbedingungen veröffentlicht, nach denen eine zeitlich begrenzte Zusammenarbeit von Wettbewerbern zur Sicherstellung der Versorgung mit zur Bekämpfung der Corona-Krise unerlässlichen Waren und Dienstleistungen möglich ist.

Während in einigen Ländern wie Norwegen für bestimmte Sektoren bereits vorübergehende Ausnahmen von den Wettbewerbsregeln eingeführt wurden, kommen in den meisten Ländern weiterhin die bestehenden kartellrechtlichen Vorschriften zur Anwendung. In Österreich kommt es durch das am 23.03.2020 in Kraft getretene Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen für COVID-19 in der Justiz (als Teil des 2. COVID-19-Gesetzes) zu Änderungen bei den Fristen in Zusammenschlussverfahren.

Angesichts der Corona-Krise müssen sich Unternehmen fragen, welche Freiheiten das Kartellrecht ihnen gibt, um ihr Angebot zu verbessern und ihre Kosten zu senken. Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die Chancen und Risiken der Krise aus wettbewerbsrechtlicher Sicht:

1. Kartellverbot

Wettbewerbsbeschränkungen, die zur Erzielung von Kostensenkungen oder zur Verbesserung des Angebots notwendig sind, können bereits nach den bestehenden Vorschriften vom Kartellverbot ausgenommen (freigestellt) sein. Auch ein Informationsaustausch um Kosten zu senken oder die Versorgungssicherheit zu erhöhen, kann gegebenenfalls freigestellt sein. Denkbar sind auch verstärkte Lieferbeziehungen zwischen Wettbewerbern (sogenannte Kollegenlieferungen), um kurzfristig Lieferengpässe zu vermeiden.

Ob und inwieweit im Rahmen einer Zusammenarbeit vereinbarte Wettbewerbsbeschränkungen zur Verminderung der Auswirkungen der Corona-Krise infolge der dadurch erzielten Effizienzgewinne vom Kartellverbot ausgenommen sind, ist von den beteiligten Unternehmen, gegebenenfalls nach Einholung anwaltlichen Rats und/oder in Konsultation mit den zuständigen Wettbewerbsbehörden, selbstständig zu prüfen. Die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde („BWB“) hat erst kürzlich in einer Stellungnahme betont, dass sie für entsprechende Anfragen zur Auslegung des Wettbewerbsrechts zur Verfügung steht.

Darüber hinaus hat das ECN in seiner gemeinsamen Erklärung klargestellt, dass es nicht aktiv gegen zeitlich beschränkte Kooperationen von Wettbewerbern vorgehen wird, wenn diese zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit notwendig sind. Nach Auffassung des ECN ist es angesichts der gegenwärtigen Umstände unwahrscheinlich, dass derartige Maßnahmen kartellrechtlich problematisch sind, da sie entweder den Wettbewerb nicht beschränken oder einer Freistellung zugänglich sind, weil die damit verbundenen Effizienzgewinne (bei angemessener Beteiligung der Verbraucher) die negativen Auswirkungen möglicher Wettbewerbsbeschränkungen aller Voraussicht nach überwiegen. Dies betrifft nach Auffassung der BWB insbesondere vorübergehende Maßnahmen bis zum Ende der Verkehrsbeschränkungen.

Nach der Mitteilung der Europäischen Kommission können solche Kooperationen insbesondere bei dringend benötigten Arzneimitteln zulässig sein, sofern sie (i) für die Vermeidung eines Versorgungsengpasses objektiv notwendig sowie (ii) zeitlich begrenzt sind und (iii) nicht über das unbedingt erforderliche Maß zu dessen Behebung hinausgehen. Die Europäische Kommission hat diese Kriterien bereits auf ein Kooperationsprojekt des Generikaherstellerverbands Medicines for Europe angewandt und einen sogenannten Comfort Letter ausgestellt, um eine freiwillige Zusammenarbeit von Arzneimittelherstellern zur Behebung von Engpässen bei der Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln für die Intensivbehandlung von Corona-Patienten zu ermöglichen.

Klassische Wettbewerbsbeschränkungen wie Preisabsprachen, Gebiets- und Kundenaufteilungen und Vereinbarungen über eine künstliche Verknappung des Angebots sind hingegen weiterhin unzulässig. Angesichts der momentanen Situation hat die BWB erklärt, Beschwerden über Gesundheitsprodukte wie z. B. Schutzmasken, Desinfektionsmittel, Schutzkleidung etc. mit höchster Priorität zu behandeln, da es von besonderer Bedeutung sei, dass solche Produkte weiterhin diskriminierungsfrei und zu angemessenen Preisen erhältlich sind. Auch das ECN betont, nicht zu zögern, wenn Unternehmen die Situation durch Kartellabsprachen oder Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ausnutzen. In seiner gemeinsamen Erklärung hat das ECN auch hervorgehoben, dass die Festsetzung von Höchstverkaufspreisen durch Hersteller zur Unterbindung von ungerechtfertigten Preiserhöhungen auf Vertriebsebene zulässig ist.

2. Missbrauch von Marktmacht

Bei Lieferengpässen in Krisenzeiten muss ein marktbeherrschender Anbieter seine Kunden diskriminierungsfrei beliefern. Gegen sachlich nicht gerechtfertigte Lieferbeschränkungen können sich betroffene Abnehmer unter anderem mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Wehr setzen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Anforderungen für einen erfolgreichen Antrag relativ hoch sind.

Darüber hinaus dürfen marktbeherrschende Anbieter keine unangemessen hohen Preise oder sonstige nachteiligen Geschäftsbedingungen fordern, wenn diese Preise/Geschäftsbedingungen von denen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden.

Langfristig kann die Corona-Krise möglicherweise auch dazu führen, dass sich die Marktanteile der Unternehmen, die die Krise überdauern, erhöhen, sodass diese in weiterer Folge auch den Bestimmungen über den Missbrauch von Marktmacht unterliegen können. Darüber hinaus können Unternehmen aufgrund der veränderten Wettbewerbsbedingungen durch temporäre Änderungen von Angebot und Nachfrage infolge der Krise zeitlich beschränkt eine marktbeherrschende Stellung erlangen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu beachten, dass eingeschränkte Transportkapazitäten, höhere Transportkosten und vorübergehende Grenzschließungen zumindest für den Zeitraum, in dem solche außergewöhnlichen Bedingungen vorherrschen, zur Abgrenzung engerer geografischer Märkte führen können.

3. Fusionskontrolle

Die Corona-Krise wirkt sich auch auf den Fristenlauf von in Österreich anmeldepflichtigen Zusammenschlüssen aus: Nach § 6 des Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (als Teil des 2. COVID-19-Gesetzes) beginnt die vierwöchige Frist für die Stellung eines Prüfungsantrags durch die BWB und den Bundeskartellanwalt (gemeinsam die „Amtsparteien“) auf Prüfung eines Zusammenschlusses durch das Kartellgericht (Phase II) für alle vor dem 30.04.2020 bei der Bundeswettbewerbsbehörde einlangenden Zusammenschlussanmeldungen einheitlich erst mit dem 01.05.2020. Dasselbe gilt für die fünf bzw. sechsmonatige Entscheidungsfrist nach § 14 KartG für sämtliche Prüfungsanträge, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes beim Kartellgericht anhängig sind oder bis zum Ablauf des 30.04.2020 anhängig gemacht werden.

Die Änderung kann somit bei sämtlichen Zusammenschlüssen, die im Zeitraum zwischen Inkrafttreten des Gesetzes und 30.04.2020 angemeldet werden, potenziell zu erheblichen Verzögerungen führen, die bei der Transaktionsplanung zu berücksichtigen sind.

In diesem Zusammenhang ist jedoch zu erwarten, dass die Amtsparteien bei inhaltlich unproblematischen Zusammenschlussvorhaben, die der neuen Regelung unterliegen, verstärkt von ihrem Recht Gebrauch machen werden, vor Ablauf der Prüfungsfrist einen Prüfungsverzicht gemäß § 11 Abs 4 KartG abzugeben. Damit sollte bei unkritischen Fällen auch weiterhin eine zeitnahe und effiziente Freigabe möglich sein.

Auch die BWB hat erst unlängst in einer Stellungnahme betont, dass die Möglichkeit eines Prüfverzichtes auch für nach dem 23.03.2020 eingebrachte Zusammenschlussanmeldungen besteht. Die Abgabe eines solchen Verzichts ist jedoch in der Regel frühestens nach Ablauf der für Äußerungen Dritter vorgesehen zweiwöchigen Frist nach Einreichung der Anmeldung (und Vornahme der Veröffentlichung auf der Webseite der BWB) möglich.

Infolge der Einstellung des Parteienverkehrs bei der BWB ist die Einreichung von Zusammenschlussanmeldungen bei der Einlaufstelle bis auf weiteres ausgesetzt. Die BWB rät überdies von der postalischen Übermittlung von Dokumenten ab. Die Einbringung von Zusammenschlussanmeldungen hat somit auf elektronischem Weg über das WEB-ERV-System zu erfolgen.

Auch in vielen anderen Jurisdiktionen bestehen mittlerweile ähnliche Regelungen, die zu einer Aussetzung oder Verlängerung der Fristen für die Prüfung von Zusammenschlüssen führen können. Und in einigen Jurisdiktionen, in denen Fristen nicht formell ausgesetzt oder verlängert sind, haben Wettbewerbsbehörden wie etwa die Europäische Kommission Unternehmen „ermutigt“, den Zeitpunkt für Anmeldung von Zusammenschlussvorhaben mit dem zuständigen Case Team zu erörtern bzw. nach Möglichkeit bis auf weiteres zu verschieben.