Urteil des Bundesgerichts in Sachen Hors-Liste Medikamente (Preisempfehlungen) – Konkretisierung des Begriffs der abgestimmten Verhaltensweise und Beurteilung von unverbindlichen Preisempfehlungen

Schweiz
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Das Bundesgericht hat am 21. April 2021 ein Urteil gegen Pfizer betreffend die Sanktionsverfügung der Wettbewerbskommission ("WEKO") in Sachen Hors-Liste Medikamente (Preisempfehlungen) publiziert. Das Bundesgericht äussert sich in seinem Urteil vertieft zum Begriff der abgestimmten Verhaltensweise. Dabei hatte das Bundesgericht die Frage zu beurteilen, ob unverbindliche Preisempfehlungen als abgestimmte Verhaltensweise gemäss Art. 4 Abs. 1 Kartellgesetz ("KG") qualifizieren und gelangt zum Schluss, dass die vorliegenden unverbindlichen Preisempfehlungen eine abgestimmte Verhaltensweise darstellen und mangels Rechtfertigungsgründen unzulässig sind.

Die drei Pharmaunternehmen Eli Lilly (Suisse) SA, Bayer (Schweiz) AG und Pfizer AG haben im Rahmen des Vertriebs von Arzneimitteln gegen erektile Dysfunktion unverbindliche Preisempfehlungen an Grossisten und Verkaufsstellen abgegeben. Diese unverbindlichen Empfehlungen wurden durch eine Datenbankbetreiberin über das Kassensystem an die Verkaufsstellen übermittelt. Die besagten Medikamente sind verschreibungspflichtig, aber nicht auf der krankrenversicherungsrechtlichen Spezialitätenliste aufgeführt und deren Kosten dementsprechend von den Patienten selbst zu tragen (sog. Hors-Liste-Medikamente). Am 26. Juni 2006 eröffnete die WEKO gegen die drei Pharmaunternehmen gestützt auf Art. 27 KG eine Untersuchung. Die WEKO kam zum Schluss, dass die Veröffentlichung und die Befolgung der Preisempfehlungen als unzulässige Wettbewerbsabrede gemäss Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 4 KG qualifizieren. Entsprechend verfügte die Wettbewerbsbehörde gegen die drei Unternehmen eine Geldbusse von gesamthaft CHF 5.7 Millionen. Der WEKO Entscheid wurde von allen drei Unternehmen erfolgreich beim Bundesverwaltungsgericht angefochten. Nachdem das Bundesgericht eine Beschwerde des Eidgenössische Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung ("WBF") gutgeheissen, das Bundesverwaltungsgericht aber wieder im Sinne der drei Unternehmen entschieden hatte, erhob das WBF erneut Beschwerde beim Bundesgericht.

Konkretisierung des Begriffs der abgestimmten Verhaltensweise

Für das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise sind gemäss bisheriger Praxis der WEKO ein Mindestmass an Koordination zwischen den Unternehmen, ein Parallelverhalten auf dem relevanten Markt sowie ein Kausalzusammenhang zwischen Koordination und Parallelverhalten vorausgesetzt. Im Kontext eines Informationsaustausches besteht das Element der Koordination im Informationsaustausch selber bzw. in der Art und Weise des Austausches. Sofern diese Informationen darüber hinaus von den am Austausch beteiligten Unternehmen auch dafür verwendet werden (Kausalzusammenhang), ihr Marktverhalten einander anzupassen (Parallelverhalten), ist der Tatbestand der abgestimmten Verhaltensweise erfüllt.

In Anlehnung daran hält das Bundesgericht in seinem neuen Urteil zunächst fest, dass eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise zwei Elemente beinhaltet: eine Abstimmung und ein darauf gestütztes Verhalten im Sinne eines Abstimmungserfolges. Beim ersten Element der Abstimmung misst das Bundesgericht der Abgrenzung zur legitimen Anpassung an das Verhalten anderer Marktteilnehmer (zulässiges Parallelverhalten) eine entscheidende Bedeutung zu. Letzteres liegt dann vor, wenn Unternehmen spontan gleich oder gleichförmig reagieren oder sich wechselseitig nachahmen. Demgegenüber beruht eine Verhaltensabstimmung auf der Verwertung von Informationen, die aufgrund eines bewussten Informationsaustausches unter den Marktteilnehmer verfügbar sind. In diesem Zusammenhang ist eine minimale Kommunikation notwendig. Das Bundesgericht spricht von einer "gegenseitigen Fühlungnahme", wobei ein Austausch von Willensbekundungen nicht vorausgesetzt wird. In Betracht kommt vielmehr auch bereits ein einseitiges Informationsverhalten, wenn davon ausgegangen werden kann, dass Wettbewerber ihr Marktverhalten entsprechend anpassen.

Hinsichtlich des zweiten Elements des Abstimmungserfolges hält das Bundesgericht fest, dass das Verhalten der beteiligten Unternehmen von der aufeinander bezogenen Abstimmung (erstes Element) beeinflusst sein müsse. Dabei manifestiere sich der Abstimmungserfolg in der Regel in einem mehr oder weniger sichtbaren, tatsächlichen Marktverhalten.

Bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs zwischen Abstimmung und Marktverhalten beruft sich das Bundesgericht auf die sog. Anic-Vermutung des Europäischen Gerichtshof, wonach bei nachgewiesener Abstimmung die (widerlegbare) Vermutung gilt, dass die beteiligten Unternehmen die ausgetauschten Informationen (Element der Abstimmung) bei der Festlegung ihres Marktverhaltens auch berücksichtigt haben.

Gemäss Bundesgericht gilt diese Vermutung insbesondere, wenn der Austausch während eines langen Zeitraums regelmässig stattgefunden hat. Weiter führt das Bundesgericht aus, dass umgekehrt auch ein Gleichverhalten eine abgestimmte Verhaltensweise bzw. eine dem gleichen Marktverhalten zugrundeliegende Abstimmung indizieren kann.

Die vorliegenden Preisempfehlungen stellen eine abgestimmte Verhaltensweise dar

Das Bundesgericht hielt betreffend das Element der Abstimmung zunächst fest, dass vorliegend davon ausgegangen werden kann, dass die Verkaufsstellen die Preisempfehlung aufgrund des Einlesens des Strichcodes des Produktes kannten, da die Herstellerin Pfizer die Preisempfehlungen über das elektronische System den Verkaufsstellen zukommen liess. Entsprechend musste Pfizer auch damit rechnen, dass die Verkaufsstellen auf eine eigene Preisfestsetzung verzichten würden, zumal dies mit zusätzlichem Aufwand verbunden gewesen wäre (eigene Kalkulationen und Anpassung der Software). Das Bundesgericht nahm weiter an, dass die Verkaufsstellen umgekehrt die Zurverfügungstellung des Preises akzeptiert hatten und davon ausgehen konnten, dass die angezeigten Preise den optimalen Verkaufspreis darstellen. Weiter sei den Verkaufsstellen auch bewusst gewesen, dass alle über dieselben Informationen verfügten. Die Verkaufsstellen stimmten sich somit zumindest teilweise stillschweigend mit den Herstellern ab.

Zur Beurteilung des Abstimmungserfolges stellte das Bundesgericht vor allem darauf ab, wie viele Verkaufsstellen die empfohlenen Preise verwendet haben. Entgegen der bisherigen Schweizer Praxis und der Praxis in der EU wurde nicht weiter berücksichtigt, ob Anreize geschaffen oder Druck ausgeübt wurde, damit die Empfehlungen eingehalten werden. Das Bundesgericht geht davon aus, dass ab einem Befolgungsgrad von über 50 % ein der Abstimmung entsprechendes Marktverhalten und damit der Abstimmungserfolg bejaht werden können. Im vorliegenden Fall hatten 89.3 % der Apotheken und 81.7 % der selbstdispensierenden Ärzte den Verkaufspreis gemäss den Preisempfehlungen der Herstellerin Pfizer festgelegt. Somit wurde die Schwelle von 50 % deutlich überschritten, womit ein der Abstimmung entsprechendes Marktverhalten nach Ansicht des Bundesgerichts gegeben ist. Beim Kausalzusammenhang stellte das Bundesgericht neben der Vermutung, dass ausgetauschte Informationen beim Marktverhalten auch berücksichtigt werden, vor allem auf den hohen Befolgungsgrad, die lange Dauer der Preisempfehlung und den Umstand ab, dass die Verkaufsstellen die effektiven Preise der Konkurrenz ohne die Preisempfehlungen gar nicht hätten kennen können.

Da das Bundesgericht weiter zum Schluss kam, dass die Preisempfehlung sich wie die Vorgabe eines Festpreises (und nicht etwa bloss eines Höchstpreises) auswirkte, qualifizierte es das Verhalten in Übereinstimmung mit der WEKO als unzulässige und mit Geldbusse bedrohte Preisbindung der zweiten Hand. Unter Verweis auf die Rechtsprechung in Sachen Gaba und Verneinung des Vorliegens von Rechtfertigungsgründen bestätigte das Bundesgericht schliesslich die Sanktionierung des Verhaltens und wies die Sache zwecks Festlegung der Höhe der Geldbusse zurück an das Bundesverwaltungsgericht.

Neuer Umgang mit Preisempfehlungen

Mit diesem Entscheid etabliert das Bundesgericht eine strengere Praxis als jene der europäischen Wettbewerbsbehörden im Umgang mit Preisempfehlungen. Im EU-Kartellrecht qualifizieren Preisempfehlungen grundsätzlich nur dann als unzulässig, wenn auf die Händler bzw. Verkaufsstellen Druck ausgeübt wird oder Anreize gesetzt werden, dass die Preisempfehlungen tatsächlich befolgt werden. Im Gegensatz dazu hält das Bundesgericht nun fest, dass weder eine Druckausübung noch eine Anreizsetzung zur Befolgung der Preisempfehlung erforderlich ist. Immerhin scheint aber eine wertende Gesamtbetrachtung notwendig, womit das Befolgen der Empfehlung für sich alleine genommen in der Regel nicht ausreichend sein dürfte.

Neben dem restriktiven Umgang mit unverbindlichen Preisempfehlungen könnte diese neue Praxis auch generell eine strengere Gangart der Behörde in Zusammenhang mit dem Austausch von Informationen mit sich bringen.

Unternehmen tun gut daran, ihre unverbindlichen Preisempfehlungen an Wiederverkäufer und generell den Informationsaustausch mit Markteilnehmern vor dem Hintergrund der neusten bundesgerichtlichen Rechtsprechung einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

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