Patentverbot für Tier- und Pflanzenzüchtungen
Nach derzeit geltendem Recht besteht ein Patentierungsausschluss für „im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren“ (§ 2 Abs 2 PatG). Diese Bestimmung ist auf Art 4 Abs 1 lit b der BiopatentRL (RL 98/44/EG) zurückzuführen und findet sich auch in Art 53 lit b EPÜ, der Tatbestände für Patentausschlüsse für das Europäische Patent normiert.
Trotz des Patentausschlusses für biologische Verfahren hat das EPA in der Vergangenheit durchaus die Patentierbarkeit von Erzeugnissen aus Züchtungen bejaht. Denn nach Ansicht des Europäischen Patentamts (EPA) wird der Ausschlusstatbestand nur dann erfüllt, wenn die biologischen Verfahren vollständig auf natürlichen Phänomenen, wie z. B. Kreuzung oder Selektion beruhen. Wenn aber eine gewisse technische Einwirkung vorliegt, dann ist Patentschutz sehr wohl zu bejahen. Dies ist etwa bei gentechnischer Veränderung sowie chemischen oder physikalischen Einflüssen gegeben (EPA (GBK) 9. 12. 2010, G 2/07-Brokkoli).
Ebenso hat die Große Beschwerdekammer die Auffassung vertreten, dass der Patentierbarkeitsausschluss iSd Art 53 lit b EPÜ nicht anwendbar ist, wenn sich ein Erfindungsgegenstand auf Pflanzen oder Pflanzenmaterial als solche bezieht, wie bspw bei Früchten oder Pflanzenteilen. Damit sind Produktansprüche oder Product-by-Process-Ansprüche nicht von Art 53 lit b EPÜ erfasst (EPA (GBK) 25.03.2015, G 2/12 und 2/13).
Vor diesem Hintergrund sah sich die Europäische Kommission veranlasst eine Mitteilung zu veröffentlichen, wonach Art 4 Abs 1 lit b BiopatentRL dahingehend zu verstehen sei, dass dieses Patentierungsverbot auch auf im Wesentlichen durch biologische Verfahren gewonnenen Tiere oder Pflanzen, also das Erzeugnis selbst, anzuwenden ist (EK 08.11.2016, C-411/7). Da jedoch das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) kein Instrument der EU, sondern ein eigenständiges internationales Übereinkommen darstellt, ist die Mitteilung der Europäischen Kommission für das EPA nicht verbindlich. Ebenso wenig kann die (Große) Beschwerdekammer dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen. Daher legte der Präsident des EPA gem Art 112 Abs 1 lit b EPÜ der Großen Beschwerdekammer die betreffenden Fragen der (hauseigenen) Großen Beschwerdekammer vor. Die Große Beschwerdekammer glich mit der Stellungnahme vom 14. Mai2020 G 3/19 seine Auslegung von Art 53 lit b EPÜ der Auslegung der Europäischen Kommission zu Art 4 Abs 1 lit b BiopatentRL an. Allerdings hielt die Große Beschwerdekammer fest, dass diese Auslegung nicht für Europäische Patente gelten, deren Anmelde- oder Prioritätsdatum vor dem 01.Juli 2017 liegen.
Ausdehnung des Patentierverbots in der österreichischen Patentrechtsnovelle 2023
Die österreichische Patentrechtsnovelle 2023 beabsichtigt den Sinn und Zweck der BiopatentRL in vollem Umfang Geltung zu verleihen und eine Umgehung des Patentierungsverbots von biologischen Züchtungsverfahren zu verhindern. So soll unter dem Patentierungsverbot auch die nicht zielgerichtete Mutagenese fallen. Hier wird beispielsweise eine Pflanze einem bestimmten Stress ausgesetzt, etwa intensiver UV-Bestrahlung. Dadurch können zufällige Mutationen entstehen, die mittels Kreuzung und Selektion weiter gezüchtet werden können. Die Erwägungsgründe der Patentrechtsnovelle 2023 halten fest, dass ein Verfahren auch dann im Wesentlichen biologisch bleibt, wenn es einen technischen Verfahrensschritt enthält, der dazu dient, die Ausführung der Schritte der geschlechtlichen Kreuzung oder der anschließenden Selektion zu ermöglichen oder zu unterstützen. Dabei wird ausdrücklich auf die Entscheidung EPA (GBK) 9. 12. 2010, G 2/07-Brokkoli verwiesen.
Allerdings ist aus der Entscheidung G 2/07-Brokkoli diese weite Auslegung des Patentierungsverbots nicht zu entnehmen. Denn die Große Beschwerdekammer hält in G 2/07-Brokkoli fest, dass Art 53 lit b EPÜ dann zur Anwendung gelangt, wenn die Einführung oder Modifizierung eines Merkmals durch Mischen der Gene der zur geschlechtlichen Kreuzung ausgewählten Pflanzen zustande kommt. Enthält daher ein Züchtungsverfahren einen zusätzlichen technischen Verfahrensschritt, so ist das Verfahren gerade nicht nach Art 53 lit b EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.
Vor diesem Hintergrund ist es daher möglich, dass die österreichische Auslegung von Art 4 Abs 1 lit b BiopatentRL von der Auslegung des EPA zu Art 53 lit b EPÜ abweicht, obwohl beide Bestimmungen inhaltsgleich sein sollten.
Nichtigkeit für bereits erteilte europäische Patente in Österreich?
Die geplante Patenrechtsnovelle 2023 ist nur für österreichische Patente ausschlaggebend. Doch da kein europäisches Nichtigkeitsverfahren existiert, kann in jedem Vertragsstaat, in dem ein europäisches Patent Gültigkeit hat, ein nationales Nichtigkeitsverfahren durchgeführt werden. So können nach § 10 PatV-EG österreichische Teile Europäischer Patente aus Gründen des Art 138 Abs 1 lit a bis d EPÜ für nichtig erklärt werden. Ein Nichtigkeitsgrund liegt daher vor, wenn der Gegenstand des Patents nach Art 53 lit b EPÜ nicht patentierbar wäre. Es ist fraglich, wie das ÖPA in einem Nichtigkeitsverfahren die Frage der Patentierbarkeit biologischer Züchtungsverfahren nach der Patentrechtsnovelle 2023 behandeln wird. Denn das ÖPA könnte die österreichische Auslegung von Art 53 lit b EPÜ bzw Art 4 Abs 1 lit b der BiopatentRL dem Nichtigkeitsverfahren zugrunde legen und im Sinne eines umfassenderen Patentverbots den österreichischen Teil des Europäischen Patents für nichtig erklären.
Gegen die Nichtigerklärung österreichischer Teile entsprechender europäischer Patente bestehen aber verfassungsrechtliche Bedenken. So hat der VfGH erkannt, dass die Löschung eines Registerrechts, die auf den Beginn der Schutzdauer zurückwirkt, nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der Eintragung zu beurteilen ist (VfGH 30.11.1999, B 889/97).
Abhilfe durch Einheitspatent
Das Einheitspatent, welches ab 01. Juni2023 zur Verfügung steht, kann Abhilfe gegen die potenzielle uneinheitliche Rechtsanwendung bieten. Denn das Einheitspatent wird vom EPA ausschließlich nach den Vorschriften und Verfahren des EPÜ erteilt. Die Patentierbarkeit wird daher ausschließlich nach den materiellen Voraussetzungen des Art 53 lit b EPÜ geprüft. Nach Art 3 VO (EU) Nr. 1257/2012 genießt das Einheitspatent in allen teilnehmenden Mitgliedsstaaten einheitlichen Schutz.
Dabei ist das Einheitspatent nationalen Nichtigkeitsverfahren nicht zugänglich. Denn es kann nur im Hinblick auf alle teilnehmenden Mitgliedsstaaten für nichtig erklärt werden. Hier verfügt das Einheitspatentgericht über eine ausschließliche Zuständigkeit. Durch die Registrierung eines Einheitspatents können Rechteinhaber somit die Auswirkungen der österreichischen Patentnovelle 2023 umgehen.
Für weitere Informationen zu dieser Novelle und deren Anwendung auf das österreichische und EU-Patentrecht wenden Sie sich bitte an Ihren CMS-Kundenpartner oder an die lokalen CMS-Experten:
Egon Engin-Deniz
Jia Schulz-Cao
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