Die serbische Wettbewerbsbehörde („Wettbewerbsbehörde“) hat unlängst begonnen, den Begriff des Zusammenschlusses im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („Gesetz“) beim Erwerb oder Miete von Liegenschaften weit auszulegen. Ein Beispiel dafür ist das Anfang 2016 eingeleitetes Verfahren gegen Banca Intesa a.d. Beograd wegen eines angeblich unangemeldeten aber vollzogenen Zusammenschlusses. Wie die Wettbewerbsbehörde berichtete, ging es um einen Zusammenschluss durch den Erwerb der Liegenschaften und zwar Geschäftsgebäude zum Zweck der Verlegung der Bankverwaltung in die gegenständlichen Geschäftsräumlichkeiten. 1 2
Die Wettbewerbsbehörde hat in der bisherigen Praxis den Erwerb oder die Miete von Geschäftsräumen im Einzelhandel als Zusammenschluss betrachtet. Dabei ging es vor allem um den Erwerb bzw. Miete von Verkaufsstellen auf dem Markt für Einzelhandel mit Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren. Diese Praxis ist u.E. legitim (und im Einklang mit der EU-Praxis), da es sich in diesen Fällen zweifellos um Kontrollerwerb über Geschäftsräumlichkeiten handelt, die unmittelbar notwendig für die Ausübung der Einzelhandelstätigkeit sind, denen man die Erbringung bestimmter Umsätze zurechnen kann und die dadurch eine eigenständige Geschäftseinheit auf dem Markt bilden. Des Weiteren wird regelmäßig die Fläche der Verkaufsstellen als Maßstab für die Berechnung des Marktanteils der Einzelhandelsketten benutzt. Der Erwerb bzw. die Vermietung dieser Räumlichkeiten ermöglicht dem Kontrollerwerber die Erweiterung seiner Geschäftsaktivitäten und damit seiner Marktpräsenz bzw. seines Marktanteils, was im Gegenzug zur Änderung der Struktur auf dem relevanten Markt führt, sodass die Einbeziehung der Wettbewerbsbehörde und vorherige Prüfung eines solchen Vorhabens sinnvoll und berechtigt ist.
Das Verfahren gegen Banca Intesa stellt gewisse Neuigkeit in der Praxis der Wettbewerbsbehörde mit potenziell weitreichenden Auswirkungen auf Geschäftstätigkeiten der Unternehmen in Serbien, da die serbische Wettbewerbsbehörde offensichtlich bereit ist, Erwerb bzw. Vermietung von Liegenschaften grundsätzlich als Zusammenschluss anzusehen.
Die Möglichkeit, ein bestimmtes Vermögen als eigenständige Geschäftseinheit zu betrachten (und daher jegliche Änderung der Kontrolle über solches Vermögen als Zusammenschluss zu definieren), hängt vorrangig von der Fähigkeit dieses Vermögens zur Generierung eines bestimmten Umsatzes ab. Während die Vermietung der Liegenschaft eine klare Form der Generierung des Umsatzes von der Liegenschaft darstellt, scheint es anhand des Banca-Intesa Falles und informellen Absprachen mit der Wettbewerbsbehörde, dass die mittelbare Generierung des Umsatzes oder sogar die Möglichkeit der Generierung des Umsatzes für die Wettbewerbsbehörde diesbezüglich ausreichend sind. So könnten auch die zum Zweck des Verwaltungssitzes dienenden Liegenschaften als selbständige Geschäftseinheiten betrachtet werden, da sie unmittelbar zur Zunahme der Geschäftstätigkeit, somit auch zur Umsatzsteigerung des Kontrollerwerbers beitragen können.
Des Weiteren bestehen Hinweise, jedoch keine ausdrückliche Stellungnahme der Wettbewerbsbehörde, dass der Erwerb bzw. die Miete neugebauter Gebäude/Objekte als Zusammenschluss angesehen werden sollte. Eine solche Auslegung, obwohl nicht unbedingt falsch, wirft viele Fragen. So ist beispielsweise strittig wie der Erwerb eines neugebauten Gebäudes von den Situationen zu unterscheiden ist, wenn ein Unternehmen die Errichtung der Gebäude aus eigenen Mitteln finanziert (Stichwort: internes vs. externes Wachstum).
Während einige Stellungnahmen der Wettbewerbsbehörde durch strenge sprachliche Auslegung des Gesetzes und in Anbetracht der Rechtsprechung der Europäischen Kommission sowie verschiedener nationaler Wettbewerbsbehörden gerechtfertigt erscheinen, führt diese strenge Auslegung zur absurden Situation in Serbien.
Da die Umsatzschwellenwerte des Gesetzes ein am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen öfters selbstständig erreichen kann, also ungeachtet des Umsatzes der/des anderen beteiligten Unternehmen(s)/Geschäftsteile(s),3 und angesichts der Tatsache, dass die Wettbewerbsbehörde das Auswirkungsprinzip nicht anwendet, müsste der Erwerb von Liegenschaften in Serbien (z.B. Einzimmerbüro in Belgrad) und sogar außerhalb der Republik Serbien (z.B. Einzimmerbüro in Brasilien) als Zusammenschluss in Serbien angemeldet werden, solange der Kontrollerwerber ausreichend hohe Umsätze in der Republik Serbien (EUR 10 Mio.) und weltweit (EUR 100 Mio.) erzielt. Angesichts ihrer Kapazitäten und Prioritäten sollte aber die Wettbewerbsbehörde aller Wahrscheinlichkeit nach solche Transaktionen nicht berücksichtigen und Verfahren wegen unterlassener Anmeldung bzw. Vollzug ohne Freigabe nicht einleitet.
Diese Vorgehensweise der Wettbewerbsbehörde löst ohne weitere Bekanntmachung bzw. sonstige Aufklärung ihres Ansatzes eine Rechtsunsicherheit aus. Der künftige Beschluss4 im Verfahren gegen Banca Intesa sollte hoffentlich klare Prinzipien darüber festgelegen, wann durch den Erwerb bzw. die Miete von Liegenschaften einen Zusammenschluss entsteht.
1. Beschluss über die Einleitung des Verfahrens Nr. 6/0-03-191/2016-1 vom 12.02.2016; jedes Unternehmen benötigt der Natur nach bestimmte Geschäftsräumlichkeiten, um seine Geschäftstätigkeit auszuüben (als Verwaltungssitz); das scheint jedoch von den Situationen unterschiedlich zu sein, wenn für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit die Bedienung bestimmter Objekte (wie z.B. landwirtschaftliche Nutzflächen, Fabrikhallen, Anlagen, Verkaufsstellen usw.) unerlässlich ist. ↩ 2. Die Wettbewerbsbehörde hat in 2015 ein Prüfungsverfahren wegen Vollzug eines nicht freigegebenen Zusammenschlusses gegen die Gesellschaft Agriser d.o.o. Beograd eingeleitet. In diesem Fall handelte es sich jedoch um den Erwerb von landwirtschaftlichen Nutzflächen mit gewissen Bauanlagen, sodass man anhand dieser Information und der Identität des Kontrollerwerbers annehmen kann (Agriser ist Teil der Ferrero Gruppe, die einige weltweit bekannte Nahrungsmittelmarken herstellt), dass tatsächlich eine Übernahme eines Geschäftsteils des Veräußerers durch den Erwerber stattgefunden wurde. Es gibt keine weiteren offiziellen Informationen über dieses Verfahren. Siehe den Beschluss über die Einleitung des Verfahrens Nr. 6/0-03-597/2015-1 vom 13.08.2015. ↩ 3. Der Zusammenschluss ist anmeldepflichtig, sofern der gesamte weltweite Umsatz der beteiligten Unternehmen EUR 100 Mio. überschreitet, und der Umsatz mindestens eines beteiligten Unternehmens auf dem Gebiet der Republik Serbien EUR 10 Mio. überschreitet: dies bedeutet, dass große multinationale in Serbien tätige Unternehmen allein diese Schwelle überschreiten, sogar wenn das Zielunternehmen/Zielgeschäft überhaupt keinen Umsatz (in Serbien) erzielt. ↩ 4. Dieser Beschluss wird möglicherweise Gegenstand einer Gerichtsprüfung sein, sodass die einschlägige Stellungnahme der Kommission nicht endgültig ist und daher künftig nicht unbedingt vertreten wird. ↩
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