Biodiversität: Ein Thema auch für Unternehmen

Schweiz
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Biodiversität: die Vielfalt des Lebens

Unter dem Begriff der Biodiversität, auch Artenvielfalt genannt, ist einerseits der Artenreichtum von Tieren, Pflanzen, Pilzen sowie Mikroorganismen zu verstehen. Andererseits umfasst der Begriff auch die genetische Vielfalt innerhalb der verschiedenen Arten, die Vielfalt der Ökosysteme sowie die Wechselwirkungen innerhalb und zwischen diesen Ebenen. Allgemein ausgedrückt: Biodiversität beschreibt die Vielfalt des Lebens.

Funktionen der Biodiversität und Problematik des Verlustes

Bereits die Vielfältigkeit des Begriffes lässt vermuten, dass die Funktionen der Biodiversität ausserordentlich umfassend sind. Biodiversität stellt das Funktionieren sämtlicher Ökosystemleistungen sicher, welche für den Menschen unverzichtbar sind: Sie versorgt uns mit Trinkwasser, sie bildet Grundlage zur Herstellung von Lebensmitteln und stellt Energieträger bereit. Sie reguliert das Klima und bietet natürlichen Schutz vor Naturgefahren. Biodiversität ist somit nicht nur für die Natur von zentraler Bedeutung. Vielmehr stellt sie eine Grundlage für unsere Gesellschaft und die gesamte Wirtschaft dar. Ein Grossteil der Unternehmen ist direkt oder indirekt auf sie und ihre Leistungen angewiesen. Dies mag in Bezug auf landwirtschaftliche Betriebe sowie die Nahrungsmittelproduktion naheliegend erscheinen. Die Abhängigkeit geht aber viel weiter: Beispielsweise werden eine Vielzahl an Medikamenten aus natürlichen Ressourcen wie Pflanzen, Pilzen und Bakterien hergestellt, womit Pharmaunternehmen sowie die gesamte Gesundheitsbranche auf die Artenvielfalt angewiesen sind. Gleiches gilt auch für Kosmetikprodukte und deren Herstellerinnen. Weiter werden auch die Bau- und Textilindustrie massgeblich durch die Biodiversität und ihre Leistungen beeinflusst. Biodiversität trägt zudem wesentlich zur Standortattraktivität der Schweiz bei und hält damit den Tourismus aufrecht. Kurz: Biodiversität ist für uns alle relevant.

Vor dem Hintergrund ihrer grundlegenden Funktionen ist offensichtlich, dass die Erhaltung der Biodiversität nicht nur aus ethischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht essentiell ist. Umso besorgniserregender ist es, dass die Biodiversität weltweit rasant zurückgeht: Nur schon in der Schweiz gelten laut aktuellem Bericht des Bundesamts für Umwelt mehr als 1/3 der ca. 11'000 untersuchten Pflanzen-, Pilz- und Tierarten als gefährdet oder sind bereits ausgestorben. Der stetig voranschreitende Verlust der Biodiversität ist massgebend auf menschliche Aktivitäten (z.B. Abholzung, Urbanisierung, Überfischung und Emissionen) zurückzuführen und gilt heute laut dem Global Risks Report 2023 neben dem Klimawandel als eines der grössten globalen Risiken, wobei der Rückgang der Biodiversität und der Klimawandel eng miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig verstärken. Während jedoch die Problematik des Klimawandels in aller Munde ist, hat der Verlust der Biodiversität trotz seiner folgenschweren Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft weniger Publizität. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der Rückgang der Biodiversität nur teilweise sichtbar erfolgt.

Rechtliche Aspekte der Biodiversität

Biodiversität macht an der Landesgrenze keinen Halt und das Ankämpfen gegen den anhaltenden Lebensraum- und Artenverlust stellt eine globale Aufgabe dar. Auf rechtlicher Ebene bestehen deshalb diverse internationale Abkommen zur Erhaltung der Biodiversität. Als eines der wichtigsten internationalen Abkommen gilt die Biodiversitätskonvention "Rio 1992" (CBD, Convention on Biological Diversity), welche für die Schweiz seit dem 1. Februar 1995 in Kraft ist.

Mit der Unterzeichnung der CBD haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, eine nationale Biodiversitätsstrategie zu erarbeiten. Demzufolge hat der Bundesrat im Jahr 2012 für die Schweiz die "Strategie Biodiversität" verabschiedet. Deren Konkretisierung erfolgte im Aktionsplan 2017, welcher Massnahmen zur direkten und langfristigen Förderung der Biodiversität enthält, auf die Stärkung der Synergienutzung zwischen der Bundesbiodiversitätspolitik und Schnittstellen wie der Landwirtschaft, Raumplanung, Verkehr etc. abzielt und zudem auch den Zweck verfolgt, die Öffentlichkeit in Bezug auf die Problematik des Biodiversitätsverlustes zu sensibilisieren. Erst kürzlich hat der Bundesrat beschlossen, die erste Umsetzungsphase des Aktionsplanes (2017–2023) bis ins Jahr 2024 zu verlängern.

Der Erhalt und die Förderung der Biodiversität stellen auch eine sektorenübergreifende Aufgabe dar, womit ihre rechtlichen Bezugspunkte besonders vielfältig sind. Ein massgebendes Rahmenwerk auf nationaler Ebene ist das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG). Dessen Zweckartikel nennt unter anderem die Erhaltung der biologischen Vielfalt und Förderung der nachhaltigen Nutzung ihrer Bestandteile als ausdrückliches Ziel (Art. 1 Bst d und dbis NHG). Bedeutsame Regelungen zum Schutz der Biodiversität finden sich weiter im Landwirtschaftsgesetz, im Gewässerschutzgesetz, im Raumplanungsgesetz, im Waldgesetz, im Jagdgesetz sowie in den jeweils dazugehörigen Verordnungen. Darüber hinaus bestehen auch auf kantonaler und kommunaler Ebene diverse Regelungen, welche auch die Biodiversität betreffen. Zu denken ist dabei insbesondere – aber in keiner Weise abschliessend – an die diversen Regelungen der Kantone und der Gemeinden im Bereich der Raumplanung. 

Immer mehr Unternehmen setzen sich aktiv für das Thema Nachhaltigkeit ein. Der Schutz der Biodiversität hat in der Schweiz bisher jedoch (noch) keinen Eingang in die ESG-Berichterstattungspflichten der Unternehmen (Art. 964a ff. des Obligationenrechts) gefunden. Anders in der Europäischen Union, wo die Biodiversität und Ökosysteme als Teilaspekt der ESG-Berichterstattungspflichten gelten. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Schweiz hier mittelfristig mit der EU gleichzieht.

Aktuelle Entwicklungen und Ausblick

Im September 2020 wurde in der Schweiz die sogenannte Biodiversitätsinitiative eingereicht. Mit einer Anpassung der Bundesverfassung sollen Bund und Kantone dazu verpflichtet werden, die Biodiversität besser zu schützen und hierfür mehr Flächen und mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Obwohl der Bundesrat die Initiative ablehnt, befürwortet er laut seiner Botschaft das Anliegen der Initiative im Grundsatz und stimmt dem dringenden Handlungsbedarf zu. Er reichte dem Parlament daher einen indirekten Gegenvorschlag ein, auf welchen der Ständerat allerdings nicht eingetreten ist. Die Initiative wird somit ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung gelangen. Sollte die Initiative angenommen werden, so dürfte deren konkrete Umsetzung viel zu reden geben.